SNV-Story #11: Ein Jahr lang Handskizzen

Sieben Monate Grundausbildung und bereits am ersten Tag ihrer vierjährigen Ausbildung tauchen die Lernenden Konstrukteur oder Konstrukteurin EFZ am Geberit Hauptsitz in Rapperswil-Jona in die Normenwelt ein. Bis zum Ende des 1. Lehrjahres bleiben sie in der Ausbildungswerkstatt und wechseln dann intern in verschiedene Produktionswerkstätte. Danach geht die Reise ab dem 3. Lehrjahr in einem Turnus von jeweils sechs Monaten durch unterschiedliche Abteilungen. Die Normen begleiten sie dabei auf Schritt und Tritt. Doch welchen Blick hat ein Lernender auf die Normen, welche Sicht bringt ein erfahrener Berufsbildner ein? Flurin Hochstrasser, Lernender im 3. Lehrjahr, und Rafael Anner, Berufsbildner im Hauptamt, haben uns in ihren Berufsalltag mitgenommen.

Wann sind Sie bei Geberit zum ersten Mal mit Normen in Kontakt gekommen?
FLURIN HOCHSTRASSER: Gleich am ersten Schultag und ich fand es sehr spannend. Mit Regeln hatte ich noch nie ein Problem, im Gegenteil. Ich mag klare Verhältnisse.
RAFAEL ANNER: Wir steigen mit den Linienarten ins Normenthema ein. Jede Linie hat ihre Bedeutung und dementsprechend auch ihre eigenen Designvorgaben bezüglich Stärke oder Ausführung. Danach gehen wir zur Normschrift über. Diese mag vor allem im Computerzeitalter veraltet wirken, doch es ist wichtig, diese von Hand schreiben zu lernen. Wir legen grossen Wert darauf, dass in der Grundausbildung noch manuell gezeichnet wird.

Was ist der Vorteil der manuellen Konstruktion?
FLURIN HOCHSTRASSER: Einer der Vorteile ist, dass es identisch mit dem Lernstoff ist, wie wir ihn an der Berufsschule vermittelt bekommen. Mitschüler, die im Betrieb direkt am CAD starten, müssen in der Schule wieder umdenken. Ich mache erste Skizzen auch heute noch lieber von Hand. Auf das CAD wechsle ich erst, wenn ich konkreter werde oder wenn eine Visualisierung für die Diskussion im Team hilft.
RAFAEL ANNER: Manuelles arbeiten mag Digital Natives irritieren. Doch Lernende profitieren später am CAD, wenn sie den Hintergrund verstehen, wieso das CAD gewisse Sachen automatisch für sie erledigt, wie zum Beispiel unterschiedliche Linienstärken. Der Wechsel von der Handzeichnung zum CAD erfolgt bei uns erst am Ende des 1. Jahres.  

Handzeichnung einer Druckstossanlage. Mit diesem Kasten werden Rohre und Rohrverbindungen auf ihren Berstdruck geprüft. Es wird wiederholend Druck auf das Rohr gegeben und wieder gelöst, bis das Rohr platzt.

Handzeichnung einer Druckstossanlage. Mit diesem Kasten werden Rohre und Rohrverbindungen auf ihren Berstdruck geprüft. Es wird wiederholend Druck auf das Rohr gegeben und wieder gelöst, bis das Rohr platzt.

Gibt es Unterschiede zwischen der Schulausbildung und dem Alltag?
FLURIN HOCHSTRASSER: Manchmal muss man geistig ein paar Sprünge machen. Da wir bei Geberit eine sehr intensive Grundausbildung geniessen, sind wir in vielen Themen dem Lehrplan voraus. Für uns bleibt dafür viel Zeit für Repetition und Vertiefung. Für mich ist das optimal, weil so die Berufsschule wie nebenbei läuft und ich mich im schulischen Bereich auf die Berufsmatura konzentrieren kann.
RAFAEL ANNER: Die Grundausbildung dauert bei uns sieben Monate. Da wir – wie beispielweise Hilti oder auch Bühler – ein ÜK-befreiter Lehrbetrieb sind, haben wir bei der Ausgestaltung einen grösseren Spielraum. Für Lernende aus nicht befreiten Lehrbetrieben beträgt die Grundausbildung 48 Tage. Da ich im Nebenamt auch an der Berufsschule unterrichte, bin ich mit beiden Lernplänen vertraut. Die Zusammenarbeit zwischen der Berufsschule und den Lehrbetrieben erachte ich als sehr konstruktiv und zielorientiert. Dank den Praxisvertretern in der Kommission wird stark Rücksicht darauf genommen, welche Lerninhalte zu welchem Zeitpunkt Sinn machen.

Wo liegt der Fokus im Normenunterricht?
RAFAEL ANNER: Es ist mir wichtig, dass die Lernenden das Grundwissen aus den ersten beiden Jahren dann in der Schwerpunktausbildung ab dem 3. Jahr auch praktisch anwenden. Ich bringe ihnen bei, wie wichtig die Normensprache einerseits im betrieblichen Umfeld, aber vor allem auch im internationalen Kontext ist. Wir arbeiten mit diversen Europäischen aber auch Übersee-Standorten zusammen. Da gilt es andere Sprachen, Zeitzonen und auch andere Kulturen zu beachten. Normen sind da der gemeinsame Nenner für effiziente Prozesse und fehlerfreies Arbeiten.
FLURIN HOCHSTRASSER: Wegen der Internationalität beschriften wir Zeichnungen in der Abteilung auch immer auf Deutsch und Englisch. Wo explizit Schweizer Normen eingesetzt werden, geben wir sicherheitshalber ISO-Toleranzen oder genaue Abmessungen für unsere Teams ausserhalb der Schweiz an.

Wo gibt es Unterschiede zwischen dem theoretischen Normenwissen und der Praxis?
FLURIN HOCHSTRASSER: Im Gegensatz zu langjährigen Mitarbeitenden habe ich viele Normen im Kopf und bin auf dem aktuellen Stand. Beispielsweise wusste ich kürzlich in einer Abteilung als Einziger, mit wie viel Grad ein Bohrer geschliffen werden muss. Die anderen Teammitglieder waren zuerst skeptisch und haben meine Angabe kritisch überprüft. Diese war korrekt und somit ist auch ihr Respekt gegenüber mir gestiegen.
RAFAEL ANNER: Die Kommunikation in der Abteilung kann für die Lernenden anfänglich eine Herausforderung sein. So wissen sie in gewissen Normengebieten beispielsweise mehr als ein Ingenieur, dessen Studium eine Weile zurückliegt und der schon seit Jahren im Betrieb ist. Dann gilt es, sich von der Seniorität nicht in die Ecke drängen zu lassen, sondern auf der sachlichen Ebene zu argumentieren. Ich gebe meinen Lernenden stets «ZDF» als Ratschlag mit auf den Weg – Zahlen, Daten, Fakten. So werden gefühlsmässig bezogene Aussagen verhindert und Diskussionen auf Augenhöhe geführt. Kommunikationstipps sind ein fester Bestandteil, wenn wir das Modul Konstruktionsmethodik miteinander anschauen.

Was war das bisher spannendste Projekt und welche Rolle spielten Normen?
FLURIN HOCHSTRASSER: Für Wasserrohre verwendete man auf Baustellen ein Biegegerät. Dieses hat bis anhin beim Biegen der isolierten Rohre das Rohr geknickt und somit die Wasserzufuhr gestört. Es ging darum, ein neues Biegegerät zu entwickeln. Dabei starten wir mit freien Handzeichnungen und sobald wir dann ins CAD gehen, kommen die Normen ins Spiel. Manche Grundsätze kenne ich auswendig, Spezialfälle schauen wir immer im Normen-Auszug nach.
RAFAEL ANNER: An solchen Praxisbeispielen spielen wir auch gerne mal den Zusammenhang zwischen betriebswirtschaftlichen Aspekten und den Normen durch. Was kostet ein Konstruktionsteil vom Materialeinsatz über den Energieverbrauch bis hin zur Arbeitszeit? Lernende erfahren so, wie eine undeutliche Zeichnung schnell ins Geld gehen und bei Missverständnissen zwischen Konstrukteur und Polymechaniker Wert vernichtet werden kann.

Was hat Ihnen an der Grundausbildung gefallen, was eher nicht?
FLURIN HOCHSTRASSER: Gefallen hat mir, dass wir zu Beginn keinen Lieferstress hatten. Von uns wurde nicht verlangt, Produkte auf den Markt zu bringen. Für den Lernprozess blieb so genügend Zeit und jeder konnte in seinem eigenen Tempo vorgehen. Vermisst habe ich, dass wir im Vergleich zu anderen Lernenden sehr spät ans CAD gegangen sind. Im Rückblick sehe ich jetzt aber, wieso das so wichtig war, um das Grundverständnis von Normen und der Konstruktion zu verstehen.
RAFAEL ANNER: Die ersten zwei Ausbildungsjahre erlauben es uns, den Lernenden in einem geschützten Rahmen das gesamte theoretische Wissen mit an die Hand zu geben. Danach wird es aber Zeit, dass sie ab dem 3. Lehrjahr in die Praxis wechseln, bevor ihre Köpfe vor lauter Theorie nur noch rauchen. Es gibt inzwischen nämlich Themen, die sehr komplex geworden sind. Ein Beispiel dazu sind die Form- und Lagetoleranzen.

Digital oder analog – welche Quellen nutzen Sie?
FLURIN HOCHSTRASSER: Ohne Papierversion läuft nix. Ich weiss, dass es den Normen-Auszug auch digital gibt, aber den nutzen wir nicht. Sollte im Buch etwas nicht verständlich sein, googeln wir einfach. Die Quelldatei einer Norm nutzen wir nie. Das 1:1 Wording ist für meine Arbeit nicht relevant. Ich muss wissen, wie ich etwas umsetzen muss. Das «Warum» hinter einer Norm haben wir in der Grundausbildung kennengelernt.
RAFAEL ANNER: Lernende suchen die Sachen am Anfang intuitiv lieber digital, doch spätestens vor der Lehrabschlussprüfung steigen alle auf den Papierauszug um. Mit diesem sind sie einfach schneller unterwegs.
Die Entstehung von Normen und die internationale Normungslandschaft behandeln wir übrigens am Rande in der Grundausbildung.

Wer interessiert sich mehr für Normen? Konstrukteure oder Polymechaniker?
FLURIN HOCHSTRASSER: Ganz klar wir, die Konstrukteure. Wir zeichnen alles im Normenumfeld. Wenn wir nicht verstehen, wie und ob ein Polymechaniker das auch umsetzen kann, besprechen wir das gemeinsam in der Lehrwerkstatt. Oder sie kommen auf uns zu, wenn sie die Zeichnungen nicht verstehen.
RAFAEL ANNER: Eigentlich ist es paradox. Als Polymechaniker oder Polymechanikerin müsste man sich mehr für Normen interessieren. Denn wird etwas nicht präzise nach Norm produziert, haften wir. Ich betone stets, wie wichtig es ist, dass alle unsere Angaben auch überprüft werden können. Nur so schützen wir uns im internationalen Umfeld vor Haftungsfällen. Hält sich ein Produzent dann später nicht an unsere Anforderungen, ist das sein Risiko.

Er ist Lernender Konstrukteur EFZ im 3. Ausbildungsjahr und absolviert parallel dazu die Berufsmatura. Ursprünglich interessierte er sich für den Beruf Zeichner Architektur. Über einen Infotag und verschiedene Schnupperwochen ist er dann beim Konstrukteur EFZ und bei Geberit gelandet.

Flurin Hochstrasser

Er ist Lernender Konstrukteur EFZ im 3. Ausbildungsjahr und absolviert parallel dazu die Berufsmatura. Ursprünglich interessierte er sich für den Beruf Zeichner Architektur. Über einen Infotag und verschiedene Schnupperwochen ist er dann beim Konstrukteur EFZ und bei Geberit gelandet.

Er ist als Berufsbildner für 15 Lernende verantwortlich. Ursprünglich hat er Maschinenzeichner gelernt, absolvierte berufsbegleitend das Studium zum Techniker TS und startete vor rund 20 Jahren bei Geberit. Weiter ist er als Berufsschullehrer und Prüfungsexperte unterwegs und sitzt in der Fachkommission für Konstrukteur/-in und Polymechaniker/-in des Kantons St. Gallen.

Rafael Anner

Er ist als Berufsbildner für 15 Lernende verantwortlich. Ursprünglich hat er Maschinenzeichner gelernt, absolvierte berufsbegleitend das Studium zum Techniker TS und startete vor rund 20 Jahren bei Geberit. Weiter ist er als Berufsschullehrer und Prüfungsexperte unterwegs und sitzt in der Fachkommission für Konstrukteur/-in und Polymechaniker/-in des Kantons St. Gallen.

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