SNV-Story #12: Wir bauen als Fachleute selbst an unserer Zukunft

Normen in der Ausbildung sind so facettenreich wie die Berufe, die täglich mit ihnen zu tun haben. Ein herzliches Dankeschön an all unsere Interviewpartnerinnen und -partner, die uns dieses Jahr einen Einblick in ihre Welt ermöglichten. Eine Gemeinsamkeit hat uns beeindruckt: nämlich wie kreativ, pragmatisch und motivierend zugleich engagierte Berufsbildner, Lehrer und Dozenten bei der Wissensvermittlung an die nächste Generation vorgehen. Zum Abschluss der diesjährigen Serie «Normen in der Ausbildung» haben wir mit Prof. Adrian Altenburger gesprochen, der seit eineinhalb Jahren Präsident der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV) und gleichzeitig Institutsleiter an der Hochschule Luzern ist.

Wann sind Sie zum ersten Mal mit Normen in Berührung gekommen und was fasziniert Sie am Normungswesen?
Adrian Altenburger: Typisch schweizerisch. Ich habe einen dualen Bildungswerdegang. In der Lehre als Gebäudetechnikplaner bin ich zum ersten Mal mit den SIA-Normen, einem kleinen Bereich des gesamten Normungsuniversums, in Berührung gekommen. Ich bin überzeugt, dass uns Normen den Rücken freihalten. Sie sind die Grundlage, weshalb wir nicht bei jeder Frage einen Diskurs führen müssen. Sie vereinfachen Prozesse in der Arbeitswelt und sind ein Garant für Effizienz. Ich bin seit über zehn Jahren in verschiedenen Funktionen für die SNV tätig und habe erfahren, dass Normen sehr lebendig sind, vor allem, wenn man sie selbst mitgestaltet. Mich beeindruckt die Situation in der Schweiz, wo Fachleute Normen für Fachleute entwickeln.

Sie sind nun seit 18 Monaten Präsident der SNV. Was hat Sie überrascht?
Adrian Altenburger: Da ich mich dem Amt in der Rolle als Vizepräsident schon angenähert hatte, habe ich keine unerwarteten Überraschungen angetroffen. Dennoch gibt es immer wieder neue Fragestellungen, die zeitgemässe Aktivitäten und Denkansätze verlangen. Aktuelle Themen, die uns beschäftigen, sind unsere Sichtbarkeit oder die Integration im europäischen Kontext und darüber hinaus. Zudem beschäftige ich mich als Präsident noch intensiver mit der Frage von Ressourcen.

Was hat Sie in diesen Monaten besonders gefreut?
Adrian Altenburger: Vor allem, dass die Zeiten von einem pandemiebeschränkten Austausch vorbei sind. Als ich im Juni 2021 zum Präsidenten gewählt wurde, fand die Versammlung noch online statt. An der diesjährigen D-A-CH-Tagung, für welche die SNV organisatorisch zuständig war, durften wir zahlreiche Vertreter der DACH-Organisation Ende August in Zürich begrüssen. Unser Programm mit dem Besuch im Lindt&Sprüngli Museum, der Altstadtführung und dem traditionsbewussten Essen im Zunfthaus zur Waage wurde von perfektem Wetter eingerahmt. Es hat mich sehr gefreut, mit all den politischen und funktionalen Vertreterinnen und Vertretern aus den anreisenden Ländern in den persönlichen Austausch zu treten.

Wie beeinflusst die Normenarbeit Ihr Privatleben?
Adrian Altenburger: Zuhause haben wir keinen Normenauszug (lacht). Dennoch betreffen und interessieren mich als Bürger Normen ebenfalls. Ein aktuelles Beispiel ist die Energiediskussion. Energiefragen waren für mich damals einer der Hauptgründe, um mich im Normungswesen zu engagieren. Das Thema ist heute aktueller denn je. Hier gibt es zahlreiche Fragestellungen, wo wir als Bauindustrie zur nachhaltigen Planung, ressourcenschonenden Umsetzung und effektivem Management von Gebäuden beitragen können. Zudem kann ich so meinen inzwischen erwachsenen Kindern auch immer wieder aufzeigen, wie sinnvoll unsere Arbeit für die Gesellschaft ist.

Sie dozieren parallel an der Hochschule in Luzern (HSLU). Welchen Zugang haben Sie dort zu Normen?
Adrian Altenburger: Als Instituts- und Studiengangsleiter der Gebäudetechnik und Energie bin ich verantwortlich für den Bachelor- und Masterlehrgang. Mehrheitlich bin ich mit Führungsaufgaben für mehr als 100 Leute beschäftigt. Der wirkliche Vorlesungsaufwand liegt noch bei ungefähr 20 bis 25 Prozent. Da geht es vor allem um Gebäudetechnik und Energie, wo vor allem klassisch technische Normen die konstruktiven Fragestellungen aufgreifen. Aber auch normative Grundlagen zu Fragen wie Energieeffizienz, Nachhaltigkeit oder CO2-Emissionen sind entscheidend. In Projektmodulen müssen Studierende Normen 1:1 beachten und anwenden. Das macht die Normungsarbeit verständlich und greifbar.

Wo sehen Sie Optimierungspotenzial bei der Wissensvermittlung?
Adrian Altenburger: Wir gehen logischerweise vor allem konkret auf normative Grundlagen ein, die im Berufsbild gefordert sind. Hier kann ich mir vorstellen, in Zukunft noch besser den Gesamtkontext der Normen aufzuzeigen. Interdisziplinarität und Querschnittsthemen werden immer wichtiger. Studierenden unseres Lehrganges sind Normen aus verwandten Branchen kaum bekannt. Oder auch das Wissen über den Gesamtmechanismus globaler ISO-Normen, über die Bedeutung von EN-Normen und deren Abgrenzung zu nationalen Normen. Hier könnte man am Anfang des Studiums das Wissen über Normen flächendeckend auch an anderen Hochschulen verstärken. Ebenso wie die Lust und das Verständnis für Normen. Ich habe das Gefühl, dass Normenschaffende oder -institutionen zu Unrecht ein Imageproblem haben. Stellen Sie sich einmal vor, was passiert, wenn wir alle bestehenden Normen aus dem Bauwesen vom Markt nehmen. Ich bin mir sicher, dass dann die heutigen Normenkritiker schnell zu aktiven Normenbefürwortern werden würden. Denn positive Aspekte von Vorschriften realisiert man häufig erst, wenn sie nicht mehr da sind. Oder nehmen Sie das Beispiel der Steckdosen auf Reisen. Da wir international noch lange nicht harmonisiert sind, schleppt man in seinem Gepäck nebst all den Adaptern auch grosse Multistecker mit sich rum. Dabei wäre es doch kein Nachteil, wenn man sein Smartphone überall auf der Welt mit dem gleichen Stecker aufladen könnte. Eine verpasste Chance!

Wenn Sie sich den Hut als Institutsleiter überziehen, welche Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit der SNV wünschen Sie sich?
Adrian Altenburger: Sehr positiv ist heute schon, dass wir als Organisation beispielsweise unbeschränkten Zugriff auf das Normenwerk haben. Dies wird von den Studierenden sehr geschätzt. Die SNV könnte wie angesprochen an allen Hochschulen noch präsenter sein. Hier läuft bereits ein Projekt unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Oya Atalay. Sie präsidiert die «European Association for Architectural Education (EAAE)». Vor allem im Mastergang ist der Austausch zwischen der SNV und den Studierenden spannend sowie wertschöpfend. Die nächste Generation sprüht vor konstruktiven Verbesserungsideen. Zudem freut es mich, dass die Haltung der Jungen zu Normen nicht von Grund auf kritisch, sondern sehr positiv ist. Ich empfehle den angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren immer, dass sie sich mit der entsprechenden Erfahrung später in den Gremien einbringen. Denn wir bauen als Fachleute selbst an unserer Normen-Zukunft.

Welchen Fokus haben Sie sich als Präsident der SNV für 2023 gesetzt?
Adrian Altenburger: Angeknüpft an das vorherige Thema sind wir daran, im Bildungsbereich stärker sichtbar zu werden. Weiter haben wir in der Klausur letztes Jahr entschieden, dass wir das Normenwerk bezüglich den ESG-Nachhaltigkeitszielsetzungen kritisch auf den Prüfstand stellen wollen. Diese Arbeit spielt sich vor allem bei den Fachbereichsträgern wie Swissmen, Electrosuisse und so weiter ab und wird von der SNV koordiniert. Im Baubereich gibt es beispielsweise Bemessungsnormen, die die Dicke einer Betondecke vorschreiben. Beton ist in der Produktion ein sehr hoher CO2-Emittent. Hier gilt es selbstkritisch zu prüfen, ob die Statik beispielsweise auch mit einer geringeren Höhe noch zu garantieren ist. Denn Sicherheitsstandards wie diese sind häufig zu einer Zeit entstanden, in der Nachhaltigkeit noch eine untergeordnete Rolle spielte.

Wenn Sie das Thema Nachhaltigkeit ansprechen. Wie könnte die SNV mit gutem Beispiel voran gehen?
Adrian Altenburger: Den grössten Einfluss haben wir über das Normungswesen. Gleichzeitig können wir als Organisation mit gutem Beispiel vorangehen. So gilt es beispielweise abzuwägen, welche internationalen Konferenzen physisch noch Sinn machen und wo ein digitaler Austausch zielführender ist. Beim Thema nach der optimalen Balance bin ich als Mensch selbst hin- und hergerissen zwischen Nachhaltigkeitsüberlegungen und dem Bedürfnis des Menschen nach persönlichem Austausch in der Normungsarbeit.

Was ist Ihre Vision, wohin möchten Sie mit der SNV gehen?
Adrian Altenburger: Aktuell sind wir mitten in der Strategieentwicklung für die nächste Phase von 2023-2027. Mein oberstes Credo ist, dass wir pragmatisch Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft generieren. Dabei sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung zentrale Themen in der Normung, die wir effizient und gewinnbringend in der Praxis vorantreiben wollen.

Welches Thema liegt Ihnen am meisten am Herzen?
Adrian Altenburger: Ein Thema, das mich sehr beschäftigt und das wir noch nicht angesprochen haben, ist die Gewinnung von kompetenten Köpfen. Sei es in der SNV selbst oder auch generell im Normungsschaffen. In den letzten Jahren ist es auch bedingt durch finanziell verschärfte Rahmenbedingungen nicht mehr selbstverständlich, dass beispielsweise Leute aus der Forschung oder dem Hochschulumfeld Zeit erhalten, um sich dem Normenschaffen zu widmen. Es würde mich schmerzen, wenn Normen zu einem «Nice-to-have» werden und nur noch die zweite oder dritte Garde bei uns mitarbeitet. In der Schweiz waren wir im internationalen Vergleich immer stark, Normen nicht der Normen willen zu produzieren. Da Fachleute, die später Anwender sind, an Normen mitarbeiten, ergibt sich ein Selbstregelungseffekt: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Damit wir das weiter so aufrechterhalten können, braucht es das Engagement der Miliz.

Was wünschen Sie sich nächstes Jahr für die SNV-Mitglieder und den Marktplatz Schweiz?
Adrian Altenburger: Ich wünsche allen, dass die Phase der globalen Krisen wie Pandemie, Krieg im europäischen Umfeld, Energiemangellagen und im Schlepptau davon auch die ökonomische Krise im Verlauf von 2023 überwunden ist oder wir gelernt haben, damit umzugehen. So dass wir wieder dem «courant normal» Geschäft nachgehen und keine existenzielle Gefahr mehr droht. Die Schweiz liegt zwar geografisch in Europa. Wir tun dennoch gut daran, uns darüber hinaus auch mit den internationalen Märkten wie Nordamerika oder Asien zu befassen. Diese Länder sind trotz mancher politischen Unzulänglichkeiten gleichberechtigte Partner. Die überhebliche westliche Deutungshoheit, die manchmal in der Normungsarbeit noch anzutreffen ist, ist nicht mehr zeitgerecht. Wir müssen anerkennen, dass die Entwicklung von einstigen Entwicklungsländern in den letzten Jahren ein Begegnen auf Augenhöhe verdient hat.

Welche persönlichen Wünsche haben Sie an das neue Jahr?
Adrian Altenburger: Ich hoffe, dass wir die Kultur eines förderlichen Austausches innerhalb der SNV und mit unseren Mitgliedern weiter vorantreiben, Anliegen aus der Wirtschaft aufnehmen und Mehrwerte generieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für mich die Diversität. Diese ist schon seit längerem und auch zu Recht an der Tagesordnung. Schade an der Diskussion finde ich allerdings, dass sich diese mehrheitlich nur auf die Genderfrage fokussiert. Eine Diversität in der Altersstruktur in der Wirtschaft sowie im Normenschaffen ist ebenfalls hochzuhalten. Mein Wunsch ist, dass ein Austausch zwischen den Erfahrungen älterer Fachleute und dem Innovationsdrang der nächsten Generation weiterhin wertschätzend stattfindet. Mit dem Wegfallen der Babyboomer in den kommenden zehn Jahren wird sich die aktuelle Situation des Fachkräftemangels akzentuieren. Lösungen für unsere Herausforderungen von heute und morgen schaffen wir nur gemeinsam.

Vorschau Storys 2023
Normen sind umständlich und verstaubt. Wirklich? Nächstes Jahr steht ganz unter dem Motto «die komplexe Normenwelt einfach erklärt». Freuen Sie sich auf eine bunte Mischung an Geschichten.

Prof. Adrian Altenburger

Prof. Adrian Altenburger ist seit eineinhalb Jahren Präsident der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV) und gleichzeitig Institutsleiter an der Hochschule Luzern.

Prof. Adrian Altenburger ist seit eineinhalb Jahren Präsident der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV) und gleichzeitig Institutsleiter an der Hochschule Luzern.

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