SNV-Story #8: Ein methodisch-konzeptionelles Fundament legen

Design, Statikberechnung, Materialauswahl, Bauphase – bis ein Haus steht, arbeiten viele Berufsbilder Hand in Hand. Normen spielen je nach Disziplin eine absolut zentrale oder eine eher untergeordnete Rolle. Prof. Dr. Oya Atalay Franck ist Professorin für Architektur und Direktorin des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur. Sie teilt mit uns, wie das Thema Normen aktuell in der Architektur- sowie Bauingenieurwesen-Ausbildung eingeflochten ist und wo sie Verbesserungspotenzial sieht.

Warum sind Normen in der Ausbildung im Bereich Architektur und Bauingenieurwesen an der ZHAW wichtig?

Zum einen, weil sie in der beruflichen Praxis und für die Bauindustrie wichtig sind – unsere Ausbildung muss sich immer auch an den Themen der Praxis orientieren und diese ins Curriculum einbeziehen. Und zum anderen aus den gleichen Gründen, wie sie auch in anderen Wirtschafts- und Technologiebereichen wichtig sind: Normen stellen Interkompatibilität von Produkten und Leistungen sicher; sie ermöglichen Verbesserungen in der Effizienz; sie liefern Qualitätsbenchmarks; und sie dienen vor allem der Sicherheit für die Nutzerinnen und Nutzer der entsprechenden Objekte – unabhängig davon, ob das nun Gebäude oder Ingenieurbauten, Geräte und Maschinen oder Fahrzeuge usw. sind.

Wie hat sich der Lehrplan bezüglich Normungswissen in den letzten Jahren verändert?

Das Normenwesen fristet häufig ein Nischendasein in den Curricula der Hochschulen, vor allem in der Architektenausbildung. Das gilt durchaus auch für die Schule, die ich leite. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unser Ziel muss es sein, das Normenwesen zu einem selbstverständlichen, vollständig integrierten Teil der Lehre zu machen. Dies beginnt mit der Schaffung des Verständnisses für die Bedeutung und den Nutzen von Normen, gerade auch im Zusammenhang mit zukunftsorientierten Themen wie dem Baustoff- und Bauteilrecycling. Im Bauingenieurwesen sieht die Situation etwas anders aus, denn Baustatik, Materialkunde oder Bauphysik beispielsweise können ohne Einbezug des Themas «Normen» gar nicht unterrichtet werden.

Wie beurteilen Sie das Interesse der Studierenden am Normenschaffen und der konkreten Anwendung in der Praxis?

Für einen angehenden Architekten oder eine angehende Bauingenieurin ist das Normenwesen kein sehr attraktives Thema, weil Normen der kreativen Entfaltung im Beruf entgegenzustehen scheinen – so zumindest die Wahrnehmung. Die Bedeutung und der Nutzen von Normen wird einem wohl erst mit zunehmender Praxiserfahrung bewusst. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Thema Normierung geschickt im Lehrplan «verpacken», indem wir es beispielsweise zu einem Element des Entwurfsstudios oder von Projektarbeiten machen.

Welche Lücken müssten aus Ihrer Sicht in der Normungsausbildung dringend geschlossen werden?

Das Normenwesen ist enorm vielfältig und umfassend. Das gesamte Wissen kann nicht ansatzweise vermittelt werden. Es macht auch wenig Sinn, faktisches Normungswissen zu vermitteln, weil Normen ständig weiterentwickelt werden. Stattdessen sollte der Schwerpunkt beispielsweise auf der Normensystematik und auf der Wissensakquisition liegen: Welche Normen gibt es? Wie sind sie strukturiert? Wo finde ich die entsprechenden Informationen, um problemspezifisch gezielt suchen zu können?

Wen sehen Sie in der Verantwortung, Normungswissen im Lehrplan noch stärker zu verankern? Welche Bestrebungen sind allenfalls schon geplant an der ZHAW oder auf anderen Ebenen?

Ich sehe alle in der Verantwortung, denen die Bedeutung des Themas bewusst ist – auch mich selbst! Bei der SNV sind wir daran, uns mit allen Fachhochschulen auszutauschen und die Bedürfnisse der Schulen abzuholen, um darauf gestützt eine Strategie bzw. konkrete Massnahmen zu erarbeiten.

Sehen Sie in Ihrer Aufgabe als Präsidentin der EAAE EU-Länder, in denen Normungswissen effektiver und praxisnaher gelehrt wird als in der Schweiz? Wie unterscheiden sich diese Lehrpläne von unseren?

In meiner Wahrnehmung gleicht sich die Situation in vielen Ländern: Das Normierungswissen steht auf der Attraktivitätsskala sowohl bei den Lehrenden als auch den Lernenden weit unten. Das hat zunächst ganz pragmatische Gründe: Auch die Ausbildungszeit ist eine knappe Ressource, um die sich die verschiedensten Themen – das gestalterische Entwerfen und Konstruieren (die «Königsdisziplin»), die Architektur- und Kunstgeschichte, die Materialkunde, die Bauphysik, die Bauökonomie und das Bauprozessmanagement etc. – streiten. Deshalb macht es wie bereits angedeutet auch wenig Sinn, das Normierungswissen auf breiter faktischer Basis vermitteln zu wollen. Vielmehr geht es darum, gezielt das Verständnis für den Nutzen von Normen zu schaffen, gewissermassen also ein methodisch-konzeptionelles Fundament zu legen, auf dessen Basis sich die oder der Professional nach Bedarf im Selbststudium oder über Kurse weiterbilden kann.

Prof. Dr. Oya Atalay Franck ist Architektin und Architekturhistorikerin. Sie ist Professorin für Architektur sowie Direktorin des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur. Sie lehrte Architektur und Bauwesen, Städtebau und Architekturtheorie am Rensselaer Polytechnic Institute Troy NY, an der Bilkent Universität Ankara und an der ETH Zürich. Sie ist als Expertin in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien tätig, u. a. für den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) und die Fundação para a Ciência e a Tecnologia (FCT), und vertritt im Vorstand der SNV die Hochschulen. Sie ist die Präsidentin der EAAE European Association for Architectural Education.

Prof. Dr. Oya Atalay Franck ist Professorin für Architektur und Direktorin des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur.

Prof. Dr. Oya Atalay Franck ist Professorin für Architektur und Direktorin des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur.

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