SNV-Story #3: Circular Economy: in aller Munde

Die ISO ist bei den vielfältigsten Themen am Puls der Zeit und Regierungen häufig ein Stück weit voraus. Normen werden pragmatisch geschaffen, wo politische Rahmenbedingungen auf sich warten lassen. Die international zusammengestellten Arbeitsgruppen schöpfen aus einem schier endlosen Potenzial von theoretischem und praktischem Wissen. So auch auf dem Gebiet der Circular Economy (Kreislaufwirtschaft). Das technische Komitee ISO/TC 323 publiziert anfangs 2024 ein anspruchsvolles Paket, das drei Normen vereint. Wir haben mit René Wasmer, Vorsitzender des Schweizer Normenkomitees INB/NK 174 «Umwelt & Nachhaltigkeit» und Mitgestalter dieses Pakets gesprochen.

Warum wurde das technische ISO-Komitee «ISO/TC 323 Circular Economy» geschaffen?
Im Bereich Umwelt brennt es an diversen Stellen. Angefangen vom Klimaschutz über die Artenvielfalt bis hin zur Biodiversität. Es geht dabei nicht nur um Fachinhalte, sondern auch um Gerechtigkeit zwischen Regionen oder Generationen. Letztendlich geht es um Verhaltensänderungen in der Produktion, beim Konsum oder Investieren, damit wir die gesetzten Klimaziele gemeinsam erreichen. Ressourcen sind limitiert und nur ein verantwortungsvoller Umgang mit ihnen bewahrt Wertvolles. Die Kreislaufwirtschaft stellt die Werterhaltung sowie -vermehrung in den Mittelpunkt. Das ISO/TC 323 wurde 2018 gegründet und nahm 2019 die Arbeit auf. Die im Normenpaket zu erarbeitenden Standards leisten ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zu den übergeordneten Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Aktuell sind 71 Mitgliedschaftsländer im ISO/TC 323 aktiv, 14 sind als Beobachter dabei und acht Normenprojekte in der Entwicklung.

Wie sieht das konkrete Arbeitspaket aus und wer arbeitet daran?
Da das Komitee noch sehr jung ist, musste zuerst das Fundament gebaut werden. Gestartet wurde mit einem Normenpaket aus drei Standards:


Da die Inhalte der drei Pakete miteinander verwoben sind, werden sie parallel ausgearbeitet. Ein bemerkenswert positives Signal ist, dass alle massgebenden Länder mitarbeiten. Nur wenn alle relevanten Akteure und Regionen eine Stimme bekommen und ihren Konsens geben, ist die Norm glaubwürdig und wirkungsvoll. Das 47-köpfige Expertenteam im Normenkomitee INB/NK 174 «Umwelt & Nachhaltigkeit» wurde von der SNV beauftragt, die Federführung der Schweizer Mitwirkung in der ISO-Expertengruppe TC323 zu übernehmen.

Was regelt die Norm ISO 59004?
In diesem normativen Dokument werden die wichtigsten Begriffe definiert, die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft festgelegt und eine Anleitung geschaffen, wie Circular Economy in der Wirtschaft über die gesamte Wertschöpfungskette eingeführt und genutzt werden kann. Während drei Jahren wurde in teils hitzigen Debatten ein Konsens erzielt. Der technische Inhalt der Norm steht. Nun geht es noch um den passenden Feinschliff für einen bestmöglichen Anwendernutzen.

Startet man bei der Erarbeitung eines solchen Fundaments auf der grünen Wiese?
Ganz im Gegenteil. Circular Economy mag vielleicht erst vor Kurzem in der kollektiven Wahrnehmung angekommen sein, die Thematik ist jedoch alles andere als neu. Die ETH hat beispielsweise schon vor gut 20 Jahren dazu publiziert. Das weltweite Wissen ist enorm. Die Herkulesaufgabe besteht vor allem darin, dieses als internationale Norm zu bündeln und unter den Expertinnen und Experten einen Konsens zu erzielen. In den Arbeitsgruppen findet sich ein balancierter Mix aus theoretischem Wissen und langjährigem, sektorübergreifendem Projektwissen. Rund um den Globus finanzieren Regierungen oder die Weltbank schon seit mehreren Jahren Circular-Economy-Projekte. Die daraus gewonnenen Erfahrungen fliessen direkt in die Normungsarbeit ein. Ebenso sind von Anfang an zahlreiche relevante interessierte Parteien eingebunden worden, beispielsweise Expertinnen und Experten des «World Business Council for Sustainable Development» oder von der «Ellen MacArthur Foundation». Deren Gründerin umsegelte 2005 als schnellste Soloseglerin die Welt. Nach all den Reiseeindrücken gründete sie die EllenMacArthur Foundation, um den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen.

Wie misst die Norm ISO 59020 Zirkularität?
Die Messung muss im Kontext Sinn machen und zuverlässig sein. Es gibt nicht die eine Lösung. Mit viel Sorgfalt sind in der Norm ISO 59020 Kernindikatoren in überschaubaren, gut lesbaren Tabellen zusammengestellt worden. Anwenderinnen und Anwender erhalten somit klare Richtlinien und konzeptionelle Vorgaben, wie sie ihre Zirkularitätsleistung im Unternehmen auf einem klaren Systemverständnis aufbauen, dadurch gute strategische Entscheidungen treffen und sich bei der Kommunikation nicht der Gefahr von Greenwashing aussetzen.

Praxistauglichkeit von Normen ist ein gutes Stichwort. Wie stellt man diese sicher?
Die ISO 59020 Arbeitsgruppe vereint Vertreterinnen und Vertreter mit ausgeprägtem technischem Wissensstand sowie breitgefächerter Praxiserfahrung. Sie stellen sicher, dass die verwendete Sprache einfach zu lesen und Handlungsempfehlungen praxisnah umsetzbar sind. Weiter binden wir in der Schweiz auch Vertreter der Industrie ein, denn das Interesse am Thema ist stark spürbar. Vorteilhaft ist zudem, dass wir erfahrene und kompetente Beraterinnen und Berater in der Schweizer Arbeitsgruppe haben. Diese tragen das Normungspaket und dessen Wichtigkeit in die Wirtschaft hinaus.

Warum sollten aus Ihrer Sicht Unternehmen Circular Economy betreiben und wie hilft das Normenpaket dabei?
Für Unternehmen sehe ich drei Hauptgründe:

  • Unternehmensverantwortung gegenüber gesellschaftlichen Herausforderungen
  • Kostenverantwortung und wirtschaftlicher Erfolg
  • Innovation und Nutzung des technologischen Fortschritt


Dazu braucht es ein gutes Bewusstsein zum Thema Kreislaufwirtschaft, dessen Relevanz und dessen Chancen zum produktiven Nutzen im Unternehmen. Das ISO-Normenpaket ist der optimale Startpunkt, um die Herausforderungen anzunehmen, systematisch vorzugehen, von den Erfahrungen zu profitieren und erwartete Ergebnisse rascher zu erzielen. In der Schweizer Wirtschaft ist das allgemeine Nachhaltigkeitsbewusstsein gut verankert. In den letzten Jahren haben Firmen vermehrt ihre Teams in Sachen Nachhaltigkeit aufgestockt, diese auf den aktuellen Wissensstand gebracht und treiben Projekte voran. Das lässt optimistisch stimmen. Im Vergleich zum Ausland ist aber mehr Tempo gefordert. Da erhoffe ich mir noch mehr Engagement von Seite des Regulators, beispielsweise in Form von Bewusstseinsbildung, Nutzengenerierung, Handlungssupport und Handlungsanreizen.

Das Normenpaket ist ab nächstem Jahr erhältlich. Wie sehen die nächsten Schritte aus?
Ja, die definitive Publikation erfolgt im Februar 2024. Die technischen Inhalte liegen als Entwurf bereits vor und sollten auch ab sofort genutzt werden. Im September 2022 ist in Kigali der Startschuss zur Aktualisierung des strategischen Businessplans des ISO/TC323 erfolgt. Diese Arbeit wird den Weg weisen, wie die Normungsarbeit zusätzlich zu den bisherigen Projekten fortgeführt und weiter auf die Bedürfnisse der Akteure ausgerichtet werden kann. Einfach zusammengefasst rechne ich mit einer zukünftigen Zertifizierungsmöglichkeit, mit sektorspezifischen Normen und mit Normen zu unterstützenden Methoden oder themenspezifischen Richtlinien. Zum Beispiel einem Guide, der Circular Design über den gesamten Lebenszyklus beschreibt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?
Circular Economy und nachhaltiges Unternehmertum ist nicht bloss eine Notwendigkeit, sondern vielmehr eine unternehmerische Chance. Die politischen Rahmenbedingungen in Form von Strategien und messbaren Zielen, Anreizen, unterstützender Kommunikation, spezifischer Förderungsprogramme, Regulierung, Einsatz von Vorgaben bei öffentlichen Beschaffungen und Infrastrukturen, Zertifizierungen und Labels, Daten und Statistiken zur Messung des Fortschritts, Kompatibilität zu Entwicklungen der Europäischen Union etc. sollten griffiger und konkreter werden. Auch soll nachhaltiges Investieren weiter gefördert und genutzt werden, damit die Schweiz eine führende Rolle einnehmen kann.

Steckbrief ISO/DIS 59004 - Circular Economy – Terminology, Principles and Guidance for Implementation

Lanciert: 2019
Inhalt: ca. 40 Seiten mit 7 Abschnitten, dazu 6 Anhänge
Gibt ein gemeinsames grundsätzliches Verständnis zu Circular Economy und der Implementierung
Wirkungskreis: International
Teilnehmende Länder: Vertretende aus Europa, Amerika, Asien und Afrika
Technisches Komitee: ISO/TC 323 Circular Economy
Globaler Trend: ISO Trendreport > Environment
Status: 40.00 DIS abgegeben (Internationaler Normenentwurf)
Geplante Lancierung: Februar 2024

Steckbrief ISO/DIS 59010 - Circular Economy – Guidance on the transition of business models and value networks

Lanciert: 2019
Inhalt: ca. 34 Seiten, 8 Abschnitte, 1 Anhang
Enthält Richtlinien für den Transfer von Businessmodellen und Wertenetzwerken von linear zu zirkulär
Wirkungskreis: International
Teilnehmende Länder: Vertretende aus Europa, Amerika, Asien und Afrika
Technisches Komitee: ISO/TC 323 Circular Economy
Globaler Trend: ISO Trendreport > Environment
Status: 40.00 DIS abgegeben (Internationaler Normenentwurf)
Geplante Lancierung: Februar 2024

Steckbrief ISO/DIS 59020 - Circular Economy – Measuring and assessing circularity

Lanciert: 2019
Inhalt: ca. 35 Seiten mit 8 Abschnitten, dazu 8 Anhänge
Setzt den Rahmen für die Messung und Bewertung von Zirkularität
Wirkungskreis: International
Teilnehmende Länder: Vertretende aus Europa, Amerika, Asien und Afrika.
Technisches Komitee: ISO/TC 323 Circular Economy
Globaler Trend: ISO Trendreport > Environment
Status: 40.00 DIS abgegeben (Internationaler Normenentwurf)
Geplante Lancierung: Februar 2024

René Wasmer

Er bringt mehr als 30 Jahre Erfahrung auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und der Normenwelt mit und führt heute sein eigenes Beratungsunternehmen. In seiner früheren Tätigkeit hat er bei der SQS unter anderem die Entwicklung und den Betrieb des Zertifizierungsprogramms für die ISO-14000-Normenserie sowie die eigene SQS-Nachhaltigkeit verantwortet. Er war stellvertretender Geschäftsführer der SQS – Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme. Nach der Pensionierung setzt er sich für Nachhaltigkeitsthemen ein und ist seit 2019 Vorsitzender des «INB/NK 174 Umwelt & Nachhaltigkeit», das mehrere Unterkomitees beinhaltet (UK 207 Environment / UK 322 Sustainable Finance / UK 323 Circular Economy / EG 331 Biodiversity / EG Sustainability of Event Management). René Wasmer ist Betriebsingenieur und hat ein Executive MBA der Universität St. Gallen.

René Wasmer ist Betriebsingenieur und hat ein Executive MBA der Universität St. Gallen. Er setzt sich für Nachhaltigkeitsthemen ein und ist seit 2019 Vorsitzender des «INB/NK 174 Umwelt & Nachhaltigkeit».

René Wasmer ist Betriebsingenieur und hat ein Executive MBA der Universität St. Gallen. Er setzt sich für Nachhaltigkeitsthemen ein und ist seit 2019 Vorsitzender des «INB/NK 174 Umwelt & Nachhaltigkeit».

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