SNV-Story #10: Stoffe, aus denen nicht nur Träume sind

Porträt der Normenexpertin Dr. Anne Bonhoff

Dr. Anne Bonhoff ist leitende Chemikerin von UL Retail & Industry. Als anerkannte Expertin für Schadstoffe, Toxikologie, Umweltfragen, ökologische Trends und Gesetzgebung entwirft und entwickelt sie massgeschneiderte Lösungen für Chemikalienmanagement und Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette. UL ist eines der führenden internationalen Prüfungs- und Zertifizierungsunternehmen und beschäftigt weltweit über 14’000 Mitarbeitende. Anne Bonhoff ist im Bereich Schadstoffe in Textilen als Expertin in den Arbeitsgruppen CEN TC 248 WG 26 (Textilien - Prüfverfahren zur Bestimmung von durch die Europäische Kommission verbotenen Substanzen) und ISO TC 38 WG 22 (Textilien - Zusammensetzung und chemische Prüfung) tätig. Die SNV hat mit ihr über ihre beeindruckende und vielfältige Gremienarbeit gesprochen.

Bildbeschrieb: Dr. Anne Bonhoff, seit 2004 Normenexpertin
im Bereich Textilien und Leder

SNV: Kann Normungsarbeit interessant sein?
Dr. Anne Bonhoff: Mich fasziniert, dass die Themen nie zu Ende sind und die Wissenschaft sehr viele kreative Aspekte einbringen kann. Immer wieder gibt es neue Verfahren und Entwicklungen, die in der Normung und auch in anderen Gremien wichtigen Einfluss finden.

SNV: Könnten Sie ein Beispiel nennen, wo dies der Fall ist?
Dr. Anne Bonhoff: Wenn wir unsere Kleider aus Chemiefasern wie Polyester, Polyamid (Nylon) und ähnlichen Stoffen waschen, lösen sich feine Kunststofffasern, Mikrofasern ab, die ins Abwasser gelangen. Diese Mikrofasern, die kleiner als 5 mm und nicht biologisch abbaubar sind, werden als Mikroplastik bezeichnet. Da Kläranlagen nicht alles Mikroplastik herausfiltern, gelangt einiges in unsere Gewässer. Dieses Mikroplastik kann von Wasserorganismen aufgenommen werden und infolgedessen in die Nahrungskette gelangen.

Vertreter von Normungsinstituten in Japan und Italien haben Standardisierungsprozesse im Bereich Mikrofasern - dem Mikroplastik aus Textilien – gestartet. Hier sind wir noch am Anfang und ich freue mich sehr, an der gemeinsamen Zielsetzung mitzuarbeiten. Dieses Thema ist derzeit hochaktuell und für mich extrem spannend. Ziel dieser Arbeit ist es, international einen Konsens zu finden, wie wir künftig Mikrofasern im Abwasser messen.

Die mit dieser Norm erzielten Ergebnisse ermöglichen es Herstellern von Textilartikeln, eine fundierte Auswahl der Stoffarten zu treffen, die weniger Mikrofasern beim Waschen freisetzen. Weiter könnte diese Norm verwendet werden, um die Effizienz von Faserrückhaltefiltern für Waschmaschinen zu testen.

Sie sehen, die Normung löst einen äusserst dynamischen Prozess aus, der sich fortlaufend entwickelt und neue Möglichkeiten mit sich bringt.

SNV: Wie ist der aktuelle Stand dieses Prozesses?
Dr. Anne Bonhoff: Ich bin als Expertin von der SNV in der neuen Arbeitsgruppe, die sich innerhalb des CEN/TC248 um die folgenden Themen kümmern wird, nominiert:

  • Textilien und Textilprodukte - Mikroplastik aus textilen Quellen.
    Teil 1: Bestimmung des Faserverlustes aus Geweben beim Waschen
  • Textilien und Textilprodukte - Mikroplastik aus textilen Quellen.
    Teil 2: Qualitative und quantitative Bewertung von Mikroplastik.

Ich gehe davon aus, dass die Norm in etwa 3 bis 5 Jahren fertiggestellt ist.

SNV: Kann die Industrie so lange warten?
Dr. Anne Bonhoff: Aufgrund der ständigen und trendorientierten Entwicklung in der Textil- und Modebranche kann die Industrie nicht die fixfertige Norm abwarten. Deshalb gibt es auch branchenspezifische Gremien, die quasi freiwillig eigene Leitplanken erarbeiten. Diese Gremien halten sich dabei an den aktuellen Stand der Normungsarbeiten und leiten aus den vorhandenen Erkenntnissen ab, welche Regeln sie sich bereits selber setzen wollen. Ich bin ebenfalls in mehreren für die Textilindustrie wichtigen Gremien vertreten, z.B. in der Lab Advisory Group der ZHDC Foundation und in dem Laboratory Technical Advisory Committee der AFIRM Group.

SNV: Was ist Ihre Rolle in den Gremien?
Dr. Anne Bonhoff: Besonders interessant an meiner Arbeit ist, dass ich als Bindeglied zwischen diesen Industriegremien und der Normung stehe. Ich bringe meine Erfahrungen und mein Fachwissen ein und trage das Verständnis aus den beiden Welten zusammen. Als Expertin habe ich Zugang zu einem hochspannenden Netzwerk mit Schlüsselakteuren, nicht nur aus der Textilindustrie, sondern aus der kompletten Wertschöpfungskette.

SNV: Sie beschäftigen sich oft mit Schadstoffen in Textilien und Leder – können Sie unseren Leserinnen und Lesern einen Tipp geben, worauf beim Kauf von Kleidung zu achten ist?
Dr. Anne Bonhoff: Wenn möglich wasche ich jedes neue Kleidungsstück bevor ich es trage, ausser bei einem Wintermantel oder einer Outdoor Jacke. Sonst bin ich aufgrund meiner Erfahrungen in dieser Sache unterdessen ziemlich strikt.

Im Laufe meiner Arbeit habe ich zudem viele Brands kennengelernt und weiss, wer wie produziert, so dass ich bereits beim Kauf Marken bevorzuge, die schadstofffrei hergestellte Textilien verwenden. Generell bin ich beim Konsum von Textil- und Lederartikeln deutlich zurückhaltender geworden.

Weiter möchte ich die Gelegenheit nutzen, um einen weiteren praktischen Hinweis zu geben: Ich entleere das Flusensieb von Waschmaschine und Trockner niemals in den Abfluss, sondern gebe die angesammelten Flusen in den Mülleimer. Ansonsten gelangen auch noch die Fasern, die das Sieb zurückhalten konnte, ins Abwasser.

Bildbeschrieb: Dr. Anne Bonhoff empfiehlt beim Kleiderkauf Marken, die schadstofffrei hergestellte Textilien verwenden, zu bevorzugen.

AFIRM Group

Die 2004 gegründete Apparel and Footwear International RSL Management (AFIRM) Group ist eine markenorientierte Mitgliederorganisation von Bekleidungs- und Schuhunternehmen, die sich gemeinsam für die Förderung des Chemikalienmanagements in der globalen Lieferkette einsetzen. Der Schwerpunkt von AFIRM liegt auf der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Chemikalienmanagements, einschliesslich des schrittweisen Verzichts auf bzw. der Beschränkung von Substanzen auf festgelegte Grenzwerte in Bekleidung, Schuhen und Accessoires.

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ZDHC Foundation: Roadmap to Zero

Die ZDHC-Stiftung überwacht die Umsetzung des "Roadmap to Zero"-Programms und ist eine globale Multi-Stakeholder-Initiative von mehr als 160 mitwirkenden Firmen aus der Mode- und Schuhindustrie. Das Programm umfasst die gesamte Wertschöpfungskette, in der globale Marken, Chemikalienlieferanten, Hersteller und andere Organisationen Hand in Hand zusammenarbeiten.

Unter «Brands to Zero» haben sich Textil- und Modemarken zusammengeschlossen mit dem Ziel, den chemischen Fussabdruck zu reduzieren und damit einen relevanten Beitrag an den Umweltschutz zu leisten. Die Mitglieder profitieren unter anderem von einem nachhaltigen Chemikalienmanagement und hohem Fachwissen aus der gesamten Wertschöpfungskette.

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