SNV-Story #11: Eine gemeinsame Sprache, die Landesgrenzen überschreitet

Porträt der Normenexpertin Prof. Dr. Corinne Gantenbein-Demarchi

Prof. Dr. Corinne Gantenbein-Demarchi ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der ZHAW in Wädenswil. Zusätzlich lehrt sie mit vollem Engagement und ehrenamtlich an der NUST Namibia University of Science and Technology. Ihr wertvolles Wissen bringt sie als Vorsitzende in das «INB/NK 172 Lebensmittel» ein. Im nächsten Sommer gibt sie die Leitungsaufgabe ab, um gleich wieder ein neues Projekt zu übernehmen. Die SNV hat mit Prof. Gantenbein über ihr abwechslungsreiches Wirken gesprochen.

Bildbeschrieb: Prof. Dr. Corinne Gantenbein-Demarchi engagiert sich ehrenamtlich an der NUST Namibia University of Science and Technology (Quelle: B360 Education Partnerships)

SNV: Woher kommt Ihre Faszination für Lebensmittel und was bedeutet Essen für Sie?
Prof. Gantenbein: Schon als Kind habe ich gerne gekocht und gebacken. An Lebensmitteln interessiert mich die unendliche Vielfalt und der Praxisbezug. Das ganzheitliche Beleuchten von einem Thema motivierte mich nach dem Doktorat an eine Fachhochschule zu gehen. An einen Ort also, wo sehr anwendungsorientiert gearbeitet wird und nicht nur Theorie, sondern auch die Nähe zur Praxis und damit verbunden zum Menschen zählt. Im Privaten bedeutet Essen für mich vor allem Genuss. Ich verfolge keine strikte Ernährungsphilosophie und habe schon immer alles probiert, doch favorisiert wird gesund und nachhaltig. Einzelne Lebensmittel wie beispielsweise Froschschenkel esse ich aus ethischen Überlegungen nicht. Auch bei meinen Reisen in Afrika bin ich experimentierfreudig und musste bis jetzt nur einmal eine Grenze ziehen. Und zwar, als man mir als Ehrengast von einem ganzen Schafskopf das Hirn angeboten hat. Da überwiegt bei mir dann die Ratio und ich denke an Krankheitserreger und nicht mehr an das Lukullische.

SNV: Wie sind Sie zur Normenarbeit gekommen und welches Fazit ziehen Sie nach 20 Jahren Normungsarbeit?
Prof. Gantenbein: Die SNV ist auf mich zugekommen und dafür bin ich im Nachhinein sehr dankbar. Denn diese Arbeit hat mich für die Wichtigkeit der Normen sensibilisiert. Während des Studiums an der ETH standen Normen und deren Wirkungskraft nicht auf dem Lehrplan. Heute bringe ich auch meinen Studentinnen und Studenten in Afrika bei, wie wertvoll eine Norm ist. Normen sind eine gemeinsame Sprache im Kontext von methodischem Vorgehen. Befolgt man sie, hilft dies für das gegenseitige Fachverständnis und baut Grenzen ab. Im Lebensmittelbereich steht sehr oft die Lebensmittelsicherheit im Zentrum der Normen. Ein Thema, das uns alle angeht. So hat die UNO 2019 auch den World Food Safety Day ins Leben gerufen, der nun jedes Jahr am 7. Juni gefeiert wird. Initiiert hat ihn die Schweizerin Awilo Ochieng Pernet, die zwischen 2014 und 2017 den Vorsitz des «FAO/WHO Codex Alimentarius Commission» innehatte. Noch heute sterben jedes Jahr bis zu 420'000 Menschen an Lebensmittelvergiftungen und auch COVID-19 hat die Wichtigkeit der Lebensmittelsicherheit wieder ins Rampenlicht gebracht.

SNV: Erzählen Sie uns mehr über Ihr freiwilliges Engagement für B360 an der NUST Namibia University of Science and Technology. Was fasziniert Sie an dieser Aufgabe?
Prof. Gantenbein: Ein Kollege von mir war für B360 in Afrika im Einsatz und dafür habe ich ihn heimlich beneidet. Da Zeit bei mir jedoch ein sehr knappes Gut war, unterstützte ich B360 am Anfang vor allem dadurch, dass wir den afrikanischen Austauschstudenten unser Zuhause in Adliswil öffneten. Als ich dann mein Pensum am Institut auf 50% reduzierte, dachte ich: «Jetzt oder nie!». Seit der ersten Reise nach Afrika haben mich dieses Land und seine Leute fasziniert. Die Freude, Begeisterungsfähigkeit und Lernbegierde der Studentinnen und Studenten sind einmalig. Sie schätzen es, dass ihnen jemand auf Augenhöhe begegnet und sind dankbar, dass wir sie und ihre beruflichen sowie privaten Anliegen ernst nehmen. So ist es keine Seltenheit, dass mir jemand nach dem Unterricht ein Geschenk mitbringt und mich herzlich umarmt. Etwas, das mir während meiner Lehrtätigkeit an der ZHAW eher selten passiert ist. Über die Jahre sind so auch wertvolle Freundschaften entstanden.

SNV: Was umfasst Ihre Tätigkeit und mit welchem Ziel sind Sie in Afrika unterwegs?
Prof. Gantenbein: Afrika muss Eigenverantwortung für sich und seine Zukunft übernehmen. Das ist unser grösstes Ziel. Deshalb fordere ich die Studentinnen und Studenten auch schon mal gerne im Unterricht auf, kritisch zu hinterfragen und Aussagen genau zu durchleuchten. Etwas, das für sie oft fremd ist und sie erst lernen müssen. Während meines Einsatzes lehre ich, wie sie normierte Qualitätskontrollen durchführen müssen und wie sie dank dieser Methodik bei beruflichen Aufgaben auch im internationalen Umfeld Respekt gewinnen können. Ich lehre sie selbstständig Projekte zu übernehmen. So müssen sie jeweils an einem lokalen Produkt eine normierte Lebensmittelkontrolle durchführen, verbunden mit einer Analyse zur Lebensmittelsicherheit des Produkts. Ziel ist es, dass sie später in ihrem beruflichen Umfeld mit dem erworbenen Wissen, von mir und meinen B360 Kolleginnen und Kollegen, einen Beitrag zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit leisten können. In Ländern, in denen jährlich viele Menschen an Lebensmittelverunreinigung sterben, ist ein solches Vorgehen von hoher Relevanz. Vor allem wenn man bedenkt, dass auch Wasser ein Lebensmittel ist. Die Abgängerinnen und Abgänger sollen ihre erworbenen Fähigkeiten als Sprungbrett nutzen, um in ihrem Land zu bleiben und dort an einem «gesunden» Afrika mitzubauen.

SNV: Wie würden die Studierenden ihre Professorin aus dem fernen Europa umschreiben?
Prof. Gantenbein: Ich denke, sie würden mich als sehr aktiv, engagiert aber auch herausfordernd beschreiben. Viele haben eine lange Anreise von ihren «informal settlements», um rechtzeitig an der Uni den Unterricht zu verfolgen. Nach ihrer Ankunft kümmern sie sich häufig zuerst um das morgendliche Aufladen ihrer Handybatterie und nicken dann wieder ein. Hier hilft es dann definitiv, wenn ich sie spielerisch miteinbeziehen kann und sie ihren ganz persönlichen Beitrag am Unterricht leisten dürfen.

SNV: Ist es für Sie manchmal schwierig, sich in die afrikanische Kultur einzufühlen?
Prof. Gantenbein: Afrika fühlt, denkt und handelt anders als wir. Die Afrikanerinnen und Afrikaner denken weniger an morgen, das «Heute» hat einen viel grösseren Stellenwert. Weiterhin sind sie je nach Ethnie unterschiedlich stark in Traditionen verankert. So hat mich beispielsweise ein ehemaliger Student auf eine kleine «Reise mitgenommen». «I have a surprise for you» meinte er, bevor er mich auf einen Besuch bei einer Herero Familie mitgenommen hat. Eine Ethnie, die bekannt ist für das Tragen von auffälligen Hüten. Die Hüte bestehen aus zwei Stoffbahnen, die um eine Zeitungsrolle gewickelt werden und ohne eine Nadel auskommen. Dort habe ich eine junge Dame – «westlich» im Minirock und T-Shirt gekleidet –, die aufgeschlossen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen diskutiert hat, getroffen. Dann hat sie mir zu Ehren ihre Tracht angezogen und ich habe bemerkt, dass sie mit jeder Handbewegung nicht nur traditioneller aussieht, sondern dass das Äussere auch was mit ihrem Inneren macht. So ist in kurzer Zeit aus einer «modernen» Frau, eine Frau geworden, die ihre Rolle ganz in der Tradition der Hereros sieht. In ihrem Fall heisst das, dass sie ihrem auserwählten Mann auf seinen bäuerlichen Betrieb folgt, um dort nach den Traditionen der Hereros zu leben. Das hat mich sehr nachdenklich gestimmt.

SNV: Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Studierenden?
Prof. Gantenbein: Kurzfristig vor allem, dass sich die COVID-19 Situation verbessert und sie wieder zum physischen Unterricht an der Uni erscheinen können. Der digitale Unterricht ist für sie unglaublich schwierig bis unmöglich umzusetzen. Langfristig wünsche ich mir, dass sie im Arbeitsumfeld Fuss fassen, dass sie zuhause bleiben und so ihr Wissen dem eigenen Land zur Verfügung stellen. Die grosse Gefahr ist, dass gut ausgebildete Kräfte abwandern und somit Namibias Entwicklung gebremst wird.

SNV: Und wie sieht Ihre Zukunft nach der Pensionierung aus? Werden Normen Ihr Leben weiterhin beeinflussen?
Prof. Gantenbein: Im Sommer 2021 werde ich die stellvertretende Institutsleitung abgeben und mich ums Projekt «Neubau Institut» kümmern. Dabei spielen Normen eine unglaublich zentrale Rolle. Von der Platzierung und Ausgestaltung der Steckdosen bis hin zur Aussenfassade werden wir eine komplexe Infrastruktur ausbauen und so ein normiertes Mustergebäude für die Zukunft errichten. In diesem Projekt lerne ich Normen und ihre Bedeutung nochmals aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen.

Privat freue ich mich darauf, mehr Zeit zu haben. Für mich, meine Liebsten, meine Hobbies und auch für meinen ersten Enkel. Und natürlich werde ich meine Arbeit in Afrika mit grosser Leidenschaft weiterführen.

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(Bildquelle: B360 Education Partnerships)

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