25.07.2022 // New standards and products

ISO 28701 – Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Binnenschifffahrt

von Barbara Guder

Auf Initiative der IG RiverCruise entwickelt die internationale Binnenschifffahrtsbranche einen Branchenstandard, der allen Schiffsbetreibern ein Management für ihre Sicherheits- und Nachhaltigkeitsstrategien ermöglichen soll. Die ISO 28701 basiert auf der «Harmonized Structure (HS)» für ISO-Managementsysteme und soll weltweit als Grundlage für die Zertifizierung dienen. Die Norm wird in der Arbeitsgruppe WG 1 des Technischen Komitees ISO TC 8 SC 7 «Inland Navigation Vessels» entwickelt. Am 14. Juni 2022 hat sich die internationale Arbeitsgruppe das erste Mal getroffen und die Normungstätigkeit aufgenommen.

Flüsse werden seit jeher befahren, um Handel zu betreiben und Güter sowie Personen zu transportieren. In den 60er-Jahren entstand in Westeuropa eine neue Tourismusart: die Flusskreuzfahrten. Mit der Eröffnung des Main-Donau-Kanals im Jahr 1992 setzte ein regelrechter Boom ein. Erstmals existierte eine durchgehende Binnenschifffahrtsstrasse zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer. Immer mehr Touristen entdeckten die bequeme Art des Reisens auf einem Flussschiff als Alternative zu den bisher üblichen Busreisen. Dies führte dazu, dass der Schiffsverkehr auf den Flüssen zunahm und auch heute noch zunimmt. Zusätzlich zur Passagierschifffahrt wächst auch die Frachtschifffahrt, da beim Gütertransport eine Verlagerung von der Strasse auf die Wasserstrasse stattfindet. Gleichzeitig werden die Fahrrinnen durch klimatisch bedingte niedrige Wasserpegelstände immer enger. Aktuell befahren rund 16’500 Schiffe die EU-Wasserstrassen. Für das Jahr 2050 rechnet die EU-Kommission mit einem Anstieg auf bis zu 25’000 Schiffe.

Herausforderungen in der Flusskreuzfahrtbranche
Heute stellt die Flusskreuzfahrtbranche eine internationale Industrie mit vielen Akteuren dar. Die Reedereien haben ihre Schiffe weltweit im Einsatz und befahren grosse Flüsse wie den Rhein, Mississippi, Mekong oder Nil. Im Gegensatz zu den Anfangszeiten, in denen ein Schiffsbesitzer meistens alles in Eigenregie realisierte, da er nur ein Schiff besass, sind heute überwiegend Reedereien mit grösseren Flotten in dieser Branche tätig. Der Betrieb einer Flusskreuzfahrtflotte ist zu einer komplexen, anspruchsvollen und aufwendigen Aufgabe geworden. Es gibt eine Vielzahl von Organisationen und Personen zu koordinieren:

  • Eigentümer des Schiffs
  • Managementfirma für die Nautik und Technik
  • Managementfirma für den Hotelbereich
  • Reiseveranstalter

Da Flusskreuzfahrtschiffe auf ihren Reiserouten Ländergrenzen passieren, müssen neben den nationalen Vorschriften des Heimatlandes auch internationale Vorschriften aus den Bereichen Nautik, Technik und Verwaltungsrecht beachtet werden. Zusätzlich haben mehrere Länder und Regionen eigene technische Anforderungen für Wasserstrassen und den Schiffbau festgelegt. Im Gegensatz zum Seeverkehr gibt es in der Binnenschifffahrt bisher kein internationales Managementsystem für den sicheren Schiffsbetrieb. Stattdessen muss ein Schiffsführer Vorschriften einhalten, die je nach geltender Managementpraktik unterschiedlich ausgelegt werden können. Haftbar gemacht wird aber nur der Kapitän eines Schiffes, da er rechtlich gesehen die volle Verantwortung für die Sicherheitsmassnahmen an Bord trägt. Die anderen beteiligten Akteure werden hingegen kaum zur Verantwortung gezogen.

ISO-Normen für Managementsysteme
Wie kann die internationale Flusskreuzfahrtbranche das Sicherheitsmanagement in der Binnenschifffahrt verbessern? ISO-Normen für Managementsysteme (MSS) können ein hilfreiches Werkzeug sein, wenn es darum geht, wie eine Organisation komplexe miteinander verknüpfte Teile ihres Geschäfts verwalten und ihre Ziele erreichen kann. Die wohl bekanntesten ISO-Normen für Managementsysteme sind die ISO 9001 für Qualität und die ISO 14001 für Umwelt. Die ISO-Normen für Managementsysteme helfen Organisationen dabei, ihre Leistung zu verbessern, indem sie wiederholbare Schritte vorgeben, die Organisationen bewusst umsetzen, um ihre Ziele zu erreichen und eine Organisationskultur zu schaffen, die reflexartig in einen kontinuierlichen Kreislauf von Selbstbewertung, Korrektur und Verbesserung von Abläufen und Prozessen einsteigt. Der Grad der Komplexität des Managementsystems hängt vom spezifischen Kontext der jeweiligen Organisation ab. Für einige Organisationen, insbesondere kleinere, kann es einfach bedeuten, dass der Eigentümer des Unternehmens eine starke Führung hat, und schriftlich definiert, was von jedem einzelnen Mitarbeitenden erwartet wird und wie er zu den Gesamtzielen der Organisation beiträgt. Komplexere Unternehmen, die zum Beispiel in stark regulierten Sektoren tätig sind, benötigen möglicherweise eine umfangreiche Dokumentation und Kontrolle, um ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen und ihre organisatorischen Ziele zu erreichen. ISO MSS-Normen können von jeder Organisation, ob gross oder klein, umgesetzt werden.

ISO 28701 – Managementsystem für Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Binnenschifffahrt
Im Jahr 2020 hat der europäische Verband der Flusskreuzfahrtreedereien IG RiverCruise die Initiative ergriffen und einen Normungsantrag bei der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV) eingereicht. Die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV) ist die nationale Vertretung von ISO in der Schweiz. Die IG RiverCruise beantragt, eine sektorspezifische ISO-Managementsystemnorm für Sicherheit und Nachhaltigkeit in der Binnenschifffahrt zu entwickeln. Die neue Norm soll weltweit als Grundlage für die Zertifizierung dienen. Nach zahlreichen Verhandlungsrunden mit Vertretern verschiedener Kreuzfahrtunternehmen, Frachtunternehmen, Zertifizierungsinstitutionen und einem Assessment bei ISO ging der Projektvorschlag 2022 in die Abstimmung im Technischen Komitee ISO TC 8 SC 7 «Inland Navigation Vessels». Dort wurde der Antrag ebenfalls für gut befunden und angenommen. Das neue Normenprojekt läuft bei ISO unter dem Namen ISO 28701 «Ships and marine technology — Safety and sustainability management systems in commercial shipping on inland waterways — Requirements with guidance for use». Am 14. Juni 2022 hat sich die Arbeitsgruppe WG 1, des ISO TC 8 SC7, zum ersten Mal getroffen und die Normungstätigkeit aufgenommen. Die Arbeitsgruppe wird von Sascha Gill, Vice President, IG RiverCruise geleitet. Unterstützt wird er dabei von Ruth Schneider, Standards Manager bei der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV), die das Sekretariat der Arbeitsgruppe führt.

Haben Sie Interesse sich am Normungsprojekt ISO 28701 zu beteiligen? Bitte kontaktieren Sie uns.

Your contact person for further information:
Barbara Guder, , Tel: +41 52 224 54 14

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